Wirkungen des demografischen Wandels – ein erster Ein- und Überblick

Immer wieder wird in den unterschiedlichsten Facetten das Älterwerden in den Medien aufgegriffen. Ich selbst war gerade im Auto unterwegs und hörte im Radio einige Stimmen älterer Menschen, die ein Journalist, mit dem Mikrofon bewaffnet, in einer Fußgängerzone in Deutschland aufschnappte. Im Gedächtnis geblieben ist mir die Aussage eines älteren Ehepaares, das den Radiohörenden ihre Zuversicht für ihre Zukunft mitteilte. Sie würden sehr gern alt werden, ließen sie alle wissen, wenn alles andere um sie herum so bliebe, wie es jetzt sei. Mir ist dabei bewusst geworden, wie tief verankert und verinnerlicht ist, dass im Grunde alles so wie immer bleibe, auch wenn immer mehr Menschen heutzutage länger leben würden, und auch wenn dem bisher noch nie so war. Dabei werden diese Menschen nicht nur selbst immer älter, es stellen sich mit dem Altern auch andere Lebenswirklichkeiten im Alltag ein, die so noch nicht erlebt wurden, sondern auch die Welt um diese älteren Menschen herum wird sich nachhaltig verändern. Das ist vielen Menschen nicht klar. Sie glauben an das „Weiter so!“.

Wer aufmerksam Zeitung liest oder die jeweils individuell zur Verfügung stehenden Medien rezipiert, wird vielleicht wie ich zum Beispiel wahrgenommen haben, dass

  • die Schaustellenden beklagen, dass immer mehr Kirmesveranstaltungen in kleineren Gemeinden wegfallen,
  • die Lehrer in den MINT-Fächern absolute Mangelware sind,
  • die Gewerkschaft der Polizei tausend zusätzliche Stellen fordert, um die islamistischen Gefährder zu beobachten,
  • die Partei Bündnis 90 / Die Grünen befürchtet, die bei den anstehenden Kommunalwahl vorausgesagten Mandatsgewinne nicht mit geeigneten Kandidaten/innen besetzen zu können, weil sie gar nicht so viele Mitglieder hat,
  • der zum 1. Januar 2015 eingeführte Mindestlohn die Beschäftigung von etwa 220.000 bis 250.000 Pflegekräfte aus Osteuropa in der häuslichen Pflege enorm verteuert,
  • die aktuellen Zuwandererzahlen belegen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, obwohl unser Ausländerrecht in der Rubrik „Gefahrenabwehrrecht“ eingeordnet ist,
  • die psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz zunehmen und davon mehr Männer als Frauen betroffen sind.

Meine Recherche stützt sich auf Ereignisse, die im Januar 2015 medial thematisiert worden sind. Der Lesende wird aber schnell erkennen, dass diese Beispiele auch heute noch aktuell sind. Sie könnten genauso gut im Januar 2019 publiziert worden sein. Das belegt, dass in den letzten vier Jahren nicht wirklich viel passiert ist, um die Wirkungen des demografischen Wandels zu kommunizieren, zu begreifen und diese Auswirkungen auch lösungsorientiert zu gestalten. Diese Liste könnte zudem problemlos erweitert werden.

Eine zentrale Botschaft allerdings ist und bleibt, dass der demografische Wandel alles und alle betrifft, sich auf alle Handlungsfelder und Alltagssituationen nachhaltig und tiefgreifend auswirken wird. Und mindestens ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass nicht wirklich etwas passiert, um die Auswirkungen des Wandels zu diskutieren und zu gestalten. Oder hätten Sie gemerkt, dass diese Themen so oder so ähnlich bereits 2015 in den Medien thematisiert wurden?

Auf meinen Vortragsreisen habe ich durch Gespräche mit den Teilnehmenden der jeweiligen Veranstaltungen immer wieder erfahren, dass ja das Gesagte nicht wesentlich neu sei, man alles schon Mal gehört oder gelesen habe, aber man sich zum ersten Mal über die Zusammenhänge und Wirkungen dieser dargestellten Fakten Gedanken machte. Und wie das alles ineinander greife und miteinander zu tun habe, sei einfach nicht im Bewusstsein gewesen. Aus dieser Erfahrung heraus möchte ich die oben beschriebenen medial wahrgenommenen Alltagssituationen zum Anlass nehmen, den Zusammenhang zur Demografie und die Wirkungen des demografischen Wandels aufzuzeigen.

Die Schaustellenden beklagen, dass immer mehr Kirmesveranstaltungen in kleineren Gemeinden wegfallen.

Als ich Kind war, gab es viele Kinder. Und die alljährliche Kirmes in unserem Ort, war ein einziges Fest für Kinder, Jugendliche und deren Familien. Die neuen Fahrgeschäfte wurden bewundert und natürlich auch ausprobiert. Die Kirmes war auch ein Laufsteg, auf dem jeder sehen, aber auch gesehen werden wollte. Als ich 15 Jahre alt war, war die stärkste Altersgruppe in Deutschland die der zwölfjährigen. Heute sind es die der 55-Jährigen (1964 geboren). Kein Jahrgang in Deutschland hat mehr Geburten gezählt. Doch die Geburtenzahlen haben sich bis 2013 halbiert. Wer geht also noch auf die Kirmes? Die älteren Menschen schauen sich auch heute noch gern die Fahrgeschäfte an, die sich immer schneller drehen, in die Höhe schnellen und wieder hinab fallen, doch sie werden nicht mehr motiviert, eine Fahrt zu erleben, weil sie befürchten, dass sich ihr Magen dabei umdreht. Und vom Vorbeiflanieren und Schauen können die Schaustellende nicht leben. Hinzu kommt, dass der ländliche Raum deutlich mehr ältere Menschen zählt als der städtische Raum. Und je älter Menschen werden, umso mehr neigen sie auch dazu, Musik und Fahrgeräusche als Lärm zu betrachten, dem man sich freiwillig nicht mehr aussetzen möchte. Das Gelände ist nicht immer rollatortauglich, so dass auch dadurch manch einer den Besuch scheut. Dadurch, dass im ländlichen Raum noch mehr im familiären und häuslichen Bereich gepflegt wird, verringert sich der potenzielle Besucherstrom weiter. Auch die kinderlosen Paare ziehen einen anderen Treffpunkt mit Freunden vor, weil sie mit Kirmes auch eher Kindheit und Jugend assoziieren. Schließlich verheißen die Losbuden und andere Attraktionen nicht etwas, was man im sonstigen Alltag nicht auch schon kennt. Kirmesveranstaltungen und Schaustellend hätten dann eine Zukunft, wenn sie ihre Zielgruppen generationenübergreifender betrachten und bedienen würden. Doch das haben sie wohl nicht im Blick. Warum auch? Schließlich war das noch nie so!

 Die Lehrer in den MINT-Fächern sind absolute Mangelware.

Positiv betrachtet wird heute jede/r Referendar/in in diesen Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) als Lehrer/in eine Anstellung finden. Manche Bundesländer werben schon heute Lehrkräfte mit dem Lockruf der Verbeamtung aus anderen Bundesländern ab. Ob das immer für die Schüler/innen gut ist, wenn jede/r Referendar/in auch Lehrer/in wird, steht auf einem anderen Blatt. Unabhängig davon bleibt der Umstand Fakt, dass die meisten Lehrer in Deutschland älter als 45 Jahre sind, viele Kollegien, insbesondere an Gymnasien, bereits ein Durchschnittsalter von 55 Jahren zählen. Bundesweit ist mittlerweile jeder vierte Lehrer älter als 55 Jahre. Die Schüler hingegen bleiben altersmäßig gleich, so dass sich der Abstand zwischen diesen beiden Schulparteien vergrößert, damit auch deren Wertvorstellungen, Lebenswirklichkeiten, Alltage. Die Pensionierungswelle rollt und wir haben dafür nicht vorgesorgt.

Ende August 2019 – zum Beginn des neuen Schuljahres – hören und lesen wir erneut, dass viele Stellen nicht mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden konnten. Zudem seien viele Stellen mit Seiteneinsteigenden besetzt worden. Dabei hatte der Bildungsforscher Paul Klemm bereits 2008 auf diese drohenden Personallücken im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hingewiesen. Die Frage bleibt, warum nichts passiert, obwohl wir eigentlich alles wissen?

Nun sagen Experten/innen, wir müssten nachhaltig und dringend dafür sorgen, dass mehr Menschen Lehrer/innen werden wollen und sie während des Studiums besser begleiten, denn noch immer würden viel zu viele Lehramtsstudierenden ihr Studium abbrechen. Nun, einerseits ist die Studienabbrecher-Quote schlichtweg in Deutschland mit rund 25 Prozent (über alle Fächer) viel zu hoch. Das bedeutet nämlich, dass dann von einem Teil der Studienabrechenden ein anderes Studium aufgenommen wird und der Abschluss und die damit verbundene Berufsausübung noch später erfolgt. Volkswirtschaftlich schlecht. Und ein anderer Teil, der dann mit dem subjektiv gefühlten Makel des Scheiterns ins Leben zurückkehrt, irgendwie versucht, sein Auskommen zu finden. Das Handwerk hat diese Zielgruppe mittlerweile auch entdeckt und spricht sie gezielt an. Besser wäre es, die Menschen weit vor dem Schulabschluss zu informieren und ihnen auch einen realistischen Blick auf ihre Talente und Möglichkeiten zu verschaffen. Das wird in manchen Bundesländern auch aktiv gestaltet: in Hessen heißt das Programm Olov, in Nordrhein-Westfalen KAoA. Auch der gesellschaftliche Druck studieren zu müssen, braucht eine korrigierende Wertschätzung für anderweitige Ausbildungsmöglichkeiten.

Andererseits ist die Zielgruppe derer, die pro Jahr Lehrer/in werden könnten, bedingt durch die Geburtenzahlen deutlich verringert. Und um diesen Nachwuchs kämpfen alle! Realistisch betrachtet: 2018 waren 787.523 Kinder zur Welt gekommen. 2018 haben aber rund 520.000 Menschen eine Ausbildung begonnen und rund 508.000 Menschen ein Studium aufgenommen. Diese beiden Zahlen verdeutlichen nicht nur, dass wir jedes Kind brauchen, es wird auch deutlich, dass die alten Instrumente (mehr Studienplätze, bessere Werbung, Optimierung der Studienbegleitung u. a. m.) allein nicht mehr ausreichen. Unser Bildungssystem wird sich ändern müssen, auch wenn die Schülerzahlen sich ebenfalls verringern. Der Staat braucht aber nicht nur Lehrer/innen, sondern auch Polizisten/innen. Und die Wirtschaft und das Handwerk? Und die Pflege? Überall werden gut qualifizierte Menschen gebraucht. Woher sollen sie kommen? Schließlich verlassen altersbedingt rund 250.000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt als neu hineinkommen (können).

Die Gewerkschaft der Polizei fordert tausend zusätzliche Stellen, um die 260 islamistischen Gefährder in Deutschland zu beobachten.

Die Gewerkschaft der Polizei teilte im Januar 2015 mit, dass die Polizei in Deutschland mindestens tausend zusätzliche Stellen benötige, wenn sie die rund 260 „Gefährder“, also Menschen, die aus Syrien und dem Irak zurück nach Deutschland gekommen sind, wo sie auf der Seite des sogenannten „Islamischen Staats“ im Namen einer Religion getötet, vergewaltigt und Lebensgrundlagen zerstört haben sollen, vorbeugend beobachten sollen. Angefügt wird durch die Gewerkschaft auch die Bemerkung, dass in der Vergangenheit 16.000 Stellen eingespart worden seien. Und der Altersdurchschnitt der Polizisten in Deutschland erreicht 2015 das 50. Lebensjahr. Es entsteht zum einen also der Bedarf, die altersbedingt ausscheidenden Polizeibeamten zu ersetzen und zum anderen, weitere Beamte neu einzustellen. Hat sich an dieser Situation wesentlich etwas geändert? Sind die geforderten Stellen qualitativ besetzt?

Mal abgesehen von der Finanzierung dieser Stellen, woher sollen die Menschen kommen? Die Geburtenzahlen haben sich – die Wiederholung dieses Faktums muss erneut ins Gedächtnis gerufen werden – halbiert. Hinzu kommt, dass die älteren Menschen, die aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden, heute im Durchschnitt knapp 20 Jahre Rentenleistungen beziehen und subjektiv ein höheres Sicherheitsbedürfnis im Alter spüren – auch vor Zugewanderten. Da ein Drittel der 2019 in Deutschland geborenen Kinder einen Migrationshintergrund aufweist, wird die Polizei sich auch nachhaltig interkulturell öffnen müssen (das geschieht heute bereits). Das bezieht Muslime ausdrücklich ein. Wie viel Vertrauen setzt ein 80-jähriger christlicher Deutscher in einen 30-jährigen muslimischen Polizisten? Wir glauben auch hier noch an die Wirksamkeit der alten Instrumente, insbesondere die Schaffung neuer Stellen. Dabei steht die Neuausrichtung unserer Sicherheitsarchitektur an, aber noch bei niemandem auf der Tagesordnung.

Die Partei ‚Bündnis 90 / Die Grünen‘ befürchtet, die bei den anstehenden Kommunalwahlen vorausgesagten Mandatsgewinne nicht mit geeigneten Kandidaten/innen besetzen zu können, weil sie gar nicht so viele Mitglieder hat.  

Diese Meldung stammt aus dem Jahr 2019 und reflektiert die enormen Wahlerfolge dieser Partei, zuletzt zum Beispiel bei der Wahl zum Europäischen Parlament. So befürchteten jüngst Repräsentanten/innen der Partei, neue Modelle zu finden und zu erproben, wie Menschen Kandidaten/innen werden könnten, ohne Parteimitglied zu sein. Denn eine Hochrechnung der letzten Wahlerfolge auf die zu erwartenden Mandatstragenden in den kommunalen Gremien lässt erwarten, dass die Rekrutierung aus der Mitgliedschaft nicht reiche, um geeignete Menschen für diese Ämter zu finden. Erinnern Sie sich? Schon 2015 einigten sich zum Beispiel in der Millionenstadt Köln CDU, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP auf die parteilose Kandidaten Henriette Reker, weil sie aus eigenen Reihen niemand aufweisen konnten oder wollten. Bundesweit sollen es mittlerweile rund 4.000 Parteilose sein.

Von außen betrachtet wird der Lesende sagen: „Na, und?“ Schließlich sei es im Grunde ja gut, wenn nicht das Parteibuch, sondern die Qualifikation entscheide. Richtig. Gleichwohl belegen diese Diskussionen, dass die etablierten Parteien so einfach keine geeigneten Kandidaten/innen mehr finden. Der demografische Blick auf unsere Demokratie bringt mehr Licht ins Dunkel. Bundesweit war 2016 jedes zweite Mitglied der CDU (auch der SPD) über 60 Jahre (bei der CSU sind es 59 Jahre, bei der Linken 58 Jahre, bei der FDP 54 Jahre, bei Bündnis 90/Die Grünen 50 Jahre). Gleichzeitig verlieren alle Parteien (mit Ausnahme der Grünen und der AFD) Mitglieder, die meisten übrigens durch den Tod. Es gelingt den politischen Parteien zum einen immer weniger, Menschen für eine Mitgliedschaft zu gewinnen, zum anderen werden die Mitglieder immer älter. Damit auch das Reservoir für Mandatstragende. Mit anderen Worten: die Kandidaten/innen für die zahlreichen Mandate auf kommunaler Ebene, aber auch für Landtage, Bundestag und Europäisches Parlament werden eher älter. Oder aber – und das trifft auch auf die Dommetropole Köln zu – die Kandidaten werden außerhalb der Partei gesucht und gefunden.

Gleichzeitig werden auch die Wahlberechtigten immer älter und die Älteren gehen auch noch pflichtbewusster zur Wahl. Der Wahlforschung zufolge nehmen von den Wahlberechtigten der über 65-Jährigen (das sind ca. 20 Millionen Menschen) 80 Prozent an den Wahlen teil, während von den Wahlberechtigten der unter-30-Jährigen (das sind rund zehn Millionen Menschen) nur rund 60 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Das erklärt dann auch, warum Themen der älteren Bürger/innen mehr in den Wahlkämpfen diskutiert werden als Themen der jüngeren Bürger/innen. Politik entfernt sich immer mehr von den jüngeren Bürgern/innen und ihren Interessen. Das wiederum führt zur verstärkten Wahlenthaltung. Was sagt das aber über die Zukunft unserer Demokratie? Brauchen wir hier andere Verfassungen? Vielleicht auch andere partizipative Instrumente? Und wenn die jüngeren Menschen auf die Straße gehen, um ihre Themen zu transportieren ("Fridays for Future“), dann ist es vielen Älteren in den etablierten Parteien auch nicht recht. Doch was sagt uns das alles über die Zukunft der Demokratie?

Der zum 1. Januar 2015 eingeführte Mindestlohn verteuert die Beschäftigung von etwa 220.000 bis 250.000 Pflegekräfte aus Osteuropa in der häuslichen Pflege enorm.

Menschen möchten so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben – auch im hohen Alter. Doch leider sind die Wohnungen in Deutschland nur zu drei Prozent alten- bzw. alternsgerecht sowie barrierearm. Gleichzeitig werden immer weniger Menschen von familiären Solidarnetzwerken pflegerisch im Alter betreut werden. Das liegt zum einen daran, dass immer weniger Familienmitglieder überhaupt vorhanden sind, zum zweiten daran, dass die Familienmitglieder in Deutschland verstreut leben (nicht selten auch im Ausland) und zum dritten, dass überhaupt keine Familienmitglieder vorhanden sind. Hier sind in den letzten Jahren verstärkt Frauen aus Osteuropa für eine 24-stündige Betreuung an sieben Tagen die Woche nach Deutschland gekommen. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 220.000 bis 250.000 vor allem osteuropäische Frauen in deutschen Haushalten pflegerischen Dienst leisten.

Für 1.300 Euro bis 1.700 Euro monatlich an sieben Tagen die Woche und 24 Stunden am Tag lebt dann diese (polnische, rumänische, ukrainische …) Pflegekraft im Haus des zu Pflegenden bei freier Kost und Logis. Der Mindestlohn von 9,19 Euro (seit dem 1. Januar 2019) macht diese Pflege für viele Menschen nahezu unbezahlbar: 24 Stunden mal 9,19 Euro mal 7 Tage ergibt 1.543,92 Euro in der Woche. Würde der Mindestlohn also tatsächlich gelte, würde das wiederum dazu führen, dass viele Menschen in betreute Einrichtungen gehen müssen, die es allerdings in dieser Zahl gar nicht gibt. Und selbst wenn, werden die monatlichen Kosten von Rente, Vermögen und Pflegekasse nur selten in voller Höhe ausreichen, so dass der Sozialhilfeträger (also der Steuernzahlende) für den Rest aufkommen wird. Die Philosophie, dass allein mehr Stellen die Probleme lösen helfen, gehört der Vergangenheit an.

Daher darf niemanden wundern, wenn durch mögliche Recherchen in Haushalten bzw. bei Angehörigen von vehementen Anhängern/innen des Mindestlohns demnächst bekannt wird, dass dort die häusliche Pflege zu Dumpinglöhnen von Menschen aus anderen Ländern durchgeführt wird. Sicherlich werden dafür dann „gute“ Argumente herangezogen werden. Fakt ist, dass der Pflegenotstand in Deutschland ohne diese Zuwanderinnen noch eklatanter ausfallen würde. Und immer noch rufen Menschen „Ausländer raus!“. Wie lösen diese Rufenden dann die Herausforderungen der Zukunft?

Die aktuellen Zuwandererzahlen belegen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, obwohl unser Ausländerrecht in der Rubrik „Gefahrenabwehrrecht“ eingeordnet ist.

Von 2010 bis 2018 wanderten netto 4.082.392 Menschen nach Deutschland mehr ein als aus.[1] Ebenfalls von 2010 bis 2018 verringerte sich die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen um 636.406 Menschen. Schaut man nun auf die Zahl der sogenannten Hartz-IV-Empfangenden, so wird auch hier ein Minus durch die Statistik belegt: 257.579 weniger Bezugsempfangende von 2010 bis 2018. Zu diesen Zugewanderten zählen auch die rund 1,6 Millionen geflüchteten Menschen, von denen ca. 300.000 im deutschen Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben. Ende 2017 erhielten noch 468.608 Asylbewerbende entsprechende gesetzliche Leistungen.

Mit anderen Worten: der deutsche Arbeitsmarkt hat im Zeitraum von 2010 – 2018 bis zu 2,5 Millionen Menschen aufgenommen. Da rund 250.000 Menschen altersbedingt den Arbeitsmarkt jährlich mehr verlassen, als demografisch neu hinzukommen, konnte also zum einen die demografisch bedingte Lücke der Erwerbsfähigen aufgefüllt werden und darüber hinaus der Fachkräftebedarf in vielen Bereichen aufgrund der guten Konjunktur gedeckt werden. Stellen wir uns vor, dass es diese Zuwanderung nicht gegeben hätte! Der Fachkräftemangel wäre noch weitaus deutlicher spürbar. Unsere Renten werden gerade von Migranten erheblich mitfinanziert.

Aber eine zweite wesentliche Botschaft lässt sich diesen Zahlen entlocken: Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt es gar nicht! Jedenfalls nicht so, dass sie statistisch signifikant ist. Menschen, die das dennoch behaupten, sind entweder beratungsresistent, mathematisch überfordert oder verfolgen damit bestimmte politische Interessen. Machen wir die sicherlich komplexe Situation der Zuwanderung an einer Berufsgruppe klar. 2018 waren von allen rund 392.000 berufstätigen Ärzten/innen in Deutschland rund 55.000 Ausländer, das sind 14 Prozent.[2] Die größte Gruppe davon waren Ärzte/innen aus Rumänien (4.312), die zweitgrößte Gruppe kam aus Syrien (3.907). Was dies zum Beispiel für Rumänien bedeutet, könnte eine sensible Frage sein. Gleichwohl wird das nicht thematisiert. Wenn etwas thematisiert wird, sind es die Fragen um Roma und Sinti aus Rumänien. (Das ist für die Kommunen, in denen sie geballt leben, eine wirkliche Herausforderung. Übrigens ist mir das auch schon in anderen Kommunen mit Yesiden oder griechischen Muslimen begegnet.)

Der Schriftsteller Max Frisch stellte schon in den 60er Jahren fest: „Wir riefen Arbeitskräfte, doch es kamen Menschen.“ Diese Zuwanderung sollte also von einer aktiven kommunalen Integrationspolitik begleitet werden. Doch die ist in den meisten Kommunen in Deutschland noch Mangelware. Gleichwohl ist zu beachten, dass immer mehr (Groß-)Städte Integrationskonzepte entwickeln, verabschieden und danach leben. Darin geht es zum einen um jene Menschen, die schon lange in Deutschland leben, zum anderen geht es um jene Menschen, die nun neu nach Deutschland einwandern. Hier wiederum gilt es zum einen zu beachten, dass die meisten Zuwanderer (ich spreche nicht von Geflüchteten oder Asylbewerbenden) über eine gute Ausbildung verfügen. Zum Zweiten gilt es zu sehen, dass Deutschland zwar Fachkräfte braucht, die Fachkräfte aber nicht unbedingt Deutschland.

Daraus folgt, dass es im Interesse Deutschlands liegt, diese Menschen zu integrieren und sie auf Dauer als Einwohnende halten zu können. Damit verbunden ist die Entwicklung einer Willkommenskultur für Zuwandernde, die wir politisch-administrativ überhaupt nicht pflegen. Gleichwohl sind erste Bemühungen spür- und sichtbar, die Ausländerämter zu Willkommenszentren weiterzuentwickeln. Für die Mitarbeitenden der Ausländerämter ist das nicht selten ein Kulturschock, denn sie sind rechtlich gewohnt, den/die Ausländer/in als eine potenzielle Gefahr zu sehen, die es so schnell wie möglich aus dem Land wieder zu entfernen gilt. Jetzt werden diese Menschen als Fachkräfte gesucht und die Ausländerämter sind zur Visitenkarte zu mutieren. Die Willkommenskultur bleibt aber auch in der Bevölkerung insgesamt zu verankern. Bewegungen, die zum Beispiel „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straßen gehen, belegen eher Gründe, nicht nach Deutschland einzuwandern und die zahlreichen ehrenamtlichen Aktivitäten um die Geflüchteten in vielen Orten in Deutschland machen Mut bis hin zum Oberbürgermeister von Goslar, der öffentlich um mehr Geflüchtete geworben hat, weil er sie als Chance sieht, eine überalterte städtische Bevölkerungsstruktur positiv zu verändern.

Die psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz nehmen zu und davon sind mehr Männer als Frauen betroffen.

Die Krankenkassen melden, dass immer mehr Krankschreibungen auf Grund von psychischen Erkrankungen erfolgen. Insgesamt haben sich die Krankschreibungen durch psychische Erkrankungen (Angststörungen, Depressionen, Panikattacken, Schlafstörungen, Zittern, Burnout etc.) seit 1997 verdreifacht. Das jedenfalls teilt die DAK mit. Es wird auch statistisch belegt, dass davon deutlich mehr Männer als Frauen betroffen sind. Die Gründe dafür sind vielfältig, werden unter anderem damit begründet, dass Männer ihr Selbstbild mit den steigenden Anforderungen nicht mehr in Einklang bringen können. Frauen arbeiteten zudem mehr in Teilzeit und könnten daher den Ausgleich eher finden, als Männer, die zu über 90 Prozent Vollzeitstellen bekleiden. Die meisten Männer sind zudem mit einem Bild groß geworden, das sie als stark, Ernährer der Familie, den Anforderungen gewachsen beschreibt. Doch die Realitäten zeichnen nicht selten ein anderes Bild.

Zwei Entwicklungen sind an dieser Stelle zu berücksichtigen. Zum einen wird die berufliche und gesellschaftliche Elite der Zukunft weiblich sein, zum anderen lautet die Zukunftsformel der Arbeit 0,5 x 2 x 3. Diese von dem Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski vorgestellte Formel besagt, dass künftig nur noch die Hälfte der Menschen von heute als Arbeitskräfte zur Verfügung steht (0,5), die zwar das Doppelte verdienen wird wie heute (2), aber dafür die dreifache Leistung zu erbringen hat (3). Wir sind alle gefordert, die seelische und psychische Ausbeutung aktiv zu verhindern. Und wer dann beobachtet, dass Mädchen heute deutlich bessere Schulabschlüsse machen und in nahezu allen universitären Ausbildungsgängen die Mehrheit stellen, der wird nur hochrechnen, dass die erste Geige künftig nicht mehr von Männern gespielt wird. Doch was heißt das für das Bild des Mannes und seiner Rolle in der Gesellschaft? Was heißt das für das Miteinander der Geschlechter am Arbeitsplatz? Was heißt das für die Paarbeziehungen in Zukunft und die Gründung von Familien?

Fazit: Es wird deutlich, dass der Facettenreichtum der demografisch bedingten Veränderungen nicht nur groß ist, sondern in jeden Lebensbereich hineinreicht und hineinwirken wird. Allein das ist Grund, sich rechtzeitig mit diesem Wandel zu beschäftigen, darüber zu sprechen und gemeinsam nach Lösungs- und Gestaltungsideen zu suchen.

 


 

[1] Darin sind die Flüchtlinge, soweit sie registriert sind, enthalten. Gleichwohl gelten diese Zahlen als vorläufig seitens des Statistischen Bundesamtes.

[2] Quelle: www.bundesaerztekammer.de.